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Im Gespräch mit… Karl Gabel

Simon Gietl und Roger Schäli haben erst kürzlich in einem Rutsch die sechs großen Nordwände der Alpen durchstiegen. Gerlinde Kaltenbrunner war die erste Frau, die alle vierzehn 8000er ohne künstlichen Sauerstoff besteigen konnte. Andy Holzer ist blind und stand trotzdem schon auf dem Everest. Was all diese Profi-Bergsteiger gemeinsam haben? Ganz einfach: Sie vertrauen ihrem Meteorologen. Ihrem Mann hinter den Kulissen. Ihrem Freund Prof. Dr. Karl Gabl.

Wie wurde der Österreicher zum wohl berühmtesten Expeditions-Wetter-Spezialisten? Wie genau kann er von Innsbruck aus im Solukhumbu helfen? Und warum findet er es unpassend, wenn er als „Wetter-Papst“ bezeichnet wird? Darüber haben wir uns mit dem heute 75-jährigen Spezialisten unterhalten.


Guten Tag Herr Gabl. Sie betreuten schon Expeditionen in aller Welt. Sind Sie hauptberuflich Wetterguru?

Genaugenommen bin ich nur Meteorologe, Berg- und Skiführer, geprüfter Landes-Skilehrer und Sachverständiger für Meteorologie. Früher war ich auch noch Sachverständiger für Alpinistik und Lawinenkunde. Neben all diesen Berufen war und bin ich aber natürlich auch selbst leidenschaftlicher Bergsteiger. Meine Wetterprognosen für die Expeditionsbergsteiger sind dagegen privater Natur – dafür habe ich nie auch nur einen Cent verlangt.


Wie kommt es, dass Ihnen heute so viele Spitzensportler vertrauen?

Zunächst einmal entspringe ich selbst einer Skifahrerfamilie. Mein Onkel Franz Gabl hat 1948 bei den Olympischen Spielen in St. Moritz die erste olympische Skimedaille für Österreich gewonnen. Meine Cousine Gertrud hat 1969 den ersten Gesamt-Ski-Weltcup gewonnen. So hatte ich schon immer einen engen Bezug zu den Bergen und natürlich auch zur Natur. Schließlich las ich einen spannenden Artikel des weltweit bedeutenden Glaziologen Herfried Hoinkes. Mich fesselte das alles derart, dass ich in Innsbruck Meteorologie studierte – damals war das noch ein starkes Stück! Wir waren insgesamt nur sieben Studenten. Gemeinsam mit dem Alpinismus kam dann das eine zum anderen. Man nennt mich manchmal sogar „Wetter-Papst“, was mir eigentlich gar nicht gefällt. Denn der Papst ist unfehlbar und Meteorologen sind strenggenommen genau das Gegenteil.


Können Sie uns einen kleinen Einblick in ihr Tourenbuch geben?

Selbstverständlich gerne. 1970 war ich am Noshaq, 7492 Meter. Der höchste Berg Afghanistans im Hindukusch. Gemeinsam mit fünf Freunden stellten wir dort einen Weltrekord auf: Wir machten den Noshaq zum höchsten Skiberg der Erde. Damals sind wir nur mit zwei VW-Bussen von Innsbruck aus nach Afghanistan gefahren! Eine sehr spannende Unternehmung.


1973 gelang mir eine Erstbegehung am Südpfeiler des 6768 Meter hohen Nevado Huascarán in Peru. In den heimischen Alpen konnte ich die erste Winterbegehung des Patteriol Nordostpfeilers (IV) und des Direkten Südostpfeilers (IV+) in nur zwei Tagen verbuchen. Königsspitze Nordwand. Monte Rosa Ostwand, durch das Marinelli Couloir – die höchste Eiswand der Alpen.


Sehr eindrucksvoll! Kommen wir zum Wetter: Mittlerweile haben Sie als Meteorologe schon viele Bergsteiger auf ihrem Weg zum Gipfel unterstützt. 

Das stimmt und das Schöne ist, dass ich zu allen eine tolle und dauerhafte Freundschaft aufbauen konnte. Manche Ereignisse bleiben da natürlich ganz besonders hängen. 


Wie hat sich diese außergewöhnliche Tätigkeit denn entwickelt?

Angefangen hat alles Mitte der 90er Jahre mit Ralf Dujmovits, zu einer Zeit, in der Wissenschaftler und Meteorologen anfingen globale Wettermodelle zu rechnen. Ralf kannte mich vom DAV Summit Club und er wusste ja, dass ich selbst Expeditionsbergsteiger war. Ich kam also quasi vom Fach. 


Mit Ausnahme ihrer ersten 8000er, habe ich dann auch Gerlinde Kaltenbrunner, Ralfs damalige Ehefrau, auf all ihren weiteren 8000ern begleitet. Simone Moro habe ich 2006 bei der Sishapangma beraten – der ersten Winterbesteigung eines 80000ers. 2009 stand er auf dem Makalu und 2011 gelang ihm die erste Winterbegehung eines 8000ers im Karakorum – Gashebrum II. 2016 dann der Nanga Parbat, ebenfalls im Winter. Hansjörg Auer und David Lama habe ich auch beraten. Mit Hansjörg habe ich zwei Tage vor dem Unglück noch telefoniert, aber die Lawinenlage vor Ort kann man einfach nicht vom Schreibtisch aus prognostizieren. Manchmal fühlen sich meine Beratungen an, wie die Empfehlung eines Vaters an dessen Sohn. Umso schmerzhafter ist es, wenn solche Unglücke passieren. 


Können Sie beschreiben wie es ist, wenn man selbst im beheizten Zimmer in Innsbruck sitzt, während anderswo die Bergsteiger an ihre Grenzen gehen?

Das erlebt man sehr intensiv mit, vor allem wenn extreme Wettersituationen auftreten. Im Winter 2012, bei der erfolgreichen polnischen Gashebrum-I-Expedition von Adam Bielecki, wütete drei Tage ein Sturm, der im Basislager die Zelte zerfetzte. Die Radiosonde eines Wetterballons zeigte mir damals eine Windgeschwindigkeit auf 8000 Metern von 260km/h. Während der polnischen Expedition, war auch der Österreicher Gerfried Göschl mit seinen Kameraden Cedric Hählen und Nisar Hussain am Berg. Sie wurden noch etwa 300 Meter unterhalb des Gipfels gesichtet, gelten aber seitdem als verschollen.


Es gibt aber auch Glück, Freude und wunderschöne Momente! Zum Beispiel als der blinde Bergsteiger Andy Holzer den Everest besteigen konnte. Oder als Thomas Lämmle in nur einer Woche gleich zwei 8000er glückten. Ich habe aber nicht nur Bergsteiger, sondern auch Paraglider, oder zum Beispiel Ultraleichtflugzeug-Piloten bei Erdumrundungen erfolgreich helfen können. Reinhold Messner unterstütze ich bei seinen Filmprojekten. Er selbst hatte ja bei damaligen Expeditionen kaum brauchbare Wetterprognosen.


Insgesamt ist da aber immer ein gewisser Leidensdruck, der mich manchmal auch mitten in der Nacht an den Computer zwingt und mich die neuesten Berechnungen überprüfen lässt. Denn Bergsteiger kennen keine Sonn- und Feiertage und die Zeitverschiebung tut ihr Übriges. 


Wettervorhersagen sind das eine – es lassen sich aber auch Wetterlagen der Vergangenheit rekonstruieren.

Das ist richtig. Sehr gefreut hat es mich zum Beispiel, als ich im Rahmen des Filmfestivals in Trient Walter Bonatti und Pierre Mazeau, den Seilschaftsführer, die einzigen Überlebenden der Frêney-Tragödie, quasi im Nachhinein von ihrem vermeintlichen Fehler freisprechen konnte. Dafür habe ich die Wetterdaten von 1961 herausgekramt und den beiden Seilschaftsführern präsentiert. Aus diesen Daten ging zweifelsfrei hervor, dass die damalige Wetterlage vor Ort schlicht nicht vorhersehbar gewesen war. Reinhold Messner übersetzte hierfür mein Tirolerisch auf italienisch und französisch. 


Ich konnte auch die Wetterlage rekonstruieren, die beim Verschwinden vom Mallory und Irvine 1924 am Everest geherrscht haben muss. Heute wissen wir, dass damals ein Tiefdruckgebiet den Luftdruck sinken hat lassen. Solche Schlechtwetterfronten werden von gewaltigen Höhenströmungen gesteuert und die beiden Bergsteiger befanden sich bei ihrem Verschwinden vor 97 Jahren in genau so einer Wetterlage. 

In diesen 97 Jahren haben sich die Wetterprognosen sicherlich stark verbessert, oder?

Heute begegnet man einem Meteorologen mit einem Lächeln. Selbst als ich noch Meteorologie studierte, wurden Meteorologen dagegen ausgelacht. Die Prognosen waren einfach extrem ungenau. Das war schon fast herzzerreißend – ein Arzt, der so schlechte Diagnosen gestellt hätte wie wir sie damals publizierten, wäre nicht lange Arzt geblieben. Damals konnten Bergsteiger ja fast nur den Luftdruck messen und aus dem Zelt schauen. Höhenbergsteigen war damals eine große Glückssache.


Heute sind die Expeditionen viel gezielter unterwegs – wodurch natürlich auch die Erfolgsrate steigt. Diese hohe Rate hat aber verschiedene Väter, wie zum Beispiel bessere Ausrüstung und künstlichen Sauerstoff. Aber es sind eben auch die Wetterprognosen. So ist die Erfolgsrate am Everest von 10% in den 80er Jahren, auf aktuell mehr als 30% gestiegen. Manche Expeditions-Anbieter haben sogar eine Quote von 100%!

Aber als deutlicher Vergleich: In meinen Anfängen waren die Wetterprognosen für 24 Stunden in etwa so zuverlässig, wie heute eine Vorhersage für die kommenden fünf bis sechs Tage.


Wie genau kann den überhaupt eine Wettervorhersage vom anderen Ende der Welt gemacht werden?

Wir rechnen mit globalen Modellen und simulieren mit ihrer Hilfe zum Beispiel die verschiedenen Druckflächen. Liegen die Isohypsen, also die Höhenschichtlinien – ähnlich den Linien einer topografischen Karte, nahe beieinander, erwarten wir ein starkes Druckgefälle mit kräftiger ausgleichender Windbewegung. Weisen die Isohypsen einen weiten Abstand auf, ist der Luftdruckunterschied und auch der Wind wesentlich geringer. Aus diesen Berechnungen leiten wir unsere Ergebnisse ab. Temperaturgefälle, Windgeschwindigkeiten, das Verhalten des Jetstream. Eigentlich ist das alles höchste theoretische Physik.


Aber auf welchen Informationsquellen basieren denn die Isohypsen und Simulationen?

Weltweit werden dafür täglich mehr als 1000 Wetterballons gestartet. Sie erreichen Höhen von bis zu 30 Kilometern und liefern von dort ein Temperatur-, Feuchte- und Druckprofil. Mit Hilfe eines Radarreflektors wird außerdem die Windrichtung und ihre Geschwindigkeit bestimmt. Am Boden gibt es noch 40.000 Stationen, die weitere Informationen liefern. Im Meer schwimmen Bojen. Satelliten behalten die Wolkenströmungen im Auge. Normalerweise liefern uns auch Passagierflugzeuge wichtige Daten. Aufgrund der derzeitigen Situation und dem eingeschränkten Flugverkehr, haben wir aber ein viel schlechteres Ausgangsmaterial als üblich. 


Gibt es trotz dieses erstaunlichen Fortschritts überhaupt noch Bereiche, in denen die moderne Meteorologie an ihre Grenzen kommt?

Ja sicher. Wir können die Wetterlage sehr gut vorhersagen, wenn mächtige Strömungen herrschen, die ganze Tiefdruckgebiete von A nach B bewegen. Anders sieht es im Sommer aus. Bei geringen Windgeschwindigkeiten in der Atmosphäre im Sommer bilden sich lokal konvektive Zellen aus, die oft nur ungenau vorherzusagen sind.


Wie kann eigentlich in einem derart durchstrukturierten Thema wie der Meteorologie Ihre eigene Erfahrung eine Rolle spielen?

Das ist eigentlich sehr einfach erklärt: Da ich selbst meine Erfahrungen an hohen Bergen sammeln konnte, kann ich auch abschätzen, was möglich ist. Ist die Route mit der zu erwartenden Neuschneemenge machbar, oder wird sie zum Ding der Unmöglichkeit? Können die Bergsteiger den errechneten Windgeschwindigkeiten standhalten? Sind sie schnell genug, um vor dem Wetterumbruch wieder in Sicherheit zu sein? Ich kenne meine Bergsteiger, kann ihr Können einschätzen und gebe mit dieser Erfahrung jedem seine oder ihre ganz eigene Empfehlung. 


Heute sind sie längst im Ruhestand. Mit Ihren Beratungen helfen sie aber nach wie vor den Alpinisten in aller Welt. Was bringt Ihre Zukunft?

Vor vier Jahren hatte ich einen schlimmen Autounfall in Bolivien, den ich mit 20 Knochenbrüchen nur knapp überlebte. Das hat vieles verändert. Zuvor hatte ich noch ein kleines Wetterbuch und eine Autobiografie geschrieben. Beratungen sind coronabedingt gerade etwas weniger, aber das macht nichts. Denn ich bin auch immer noch selbst am Berg aktiv. Ich gehe sehr gerne Skitouren, Langlaufen, Bergsteigen und Wandern – und gerade hier habe ich auch noch viel vor! 


Vielen Dank für das nette Gespräch und alles Gute!

Autor: Benni Sauer 

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