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Hinter der Linse: Thomas Senf

Extremsituationen am Berg: Schwierigste Klettereien, brenzlige Umstände und unvergessliche Eindrücke, die manchmal sogar ein Leben lang in Erinnerung bleiben. Kaum jemand wird in einem solchen Moment die Kamera zücken. Jemand der aber genau das tut, ist Thomas Senf. Der Wahlschweizer, Bergführer, Alpinist und Fotograf hält fest, was ohnehin nur wenigen Menschen möglich ist. Das Erlebnis Berg – in seiner unverfälschten, in seiner schlichtesten und kompromisslosesten Art und Weise. Die Bilder sprechen für sich. Sie geben Einblicke und wirken ohne weiteres Zutun. Für Fotografie-Interessierte haben wir daher lediglich die Aufnahmedaten der einzelnen Bilder angegeben.

Hallo Thomas. Stell dich doch bitte unseren Lesern kurz vor.
Mein Name ist Thomas Senf. Aufgewachsen bin ich in Leipzig in Deutschland. Nach meinem Maschinenbaustudium in Dresden bin ich vor knapp zwanzig Jahren in die Schweiz übergesiedelt. Mit meiner Partnerin und meinen beiden kleinen Söhnen wohne ich in Gsteigwiler im Berner Oberland. Ich arbeite zu etwa gleichen Teilen als Bergführer, Filmemacher und Fotograf. Den überwiegenden Teil meiner freien Zeit verbringe ich mit meiner Familie – in der Natur, auf dem Fahrrad, oder beim Lesen.


Mehr von Thomas im Internet unter:
www.thomassenf.ch

www.instagram.com/thomassenf_alpinephotography

Wie haben sich diese Leidenschaften entwickelt und was war zuerst da?
Mit dem Klettern habe ich mit etwa 13 Jahren begonnen. Für mich in Leipzig hieß das in der Sächsischen Schweiz. Auch wenn die Felsen dort eher klein sind, ist es doch eine super Schule für das „große“ Bergsteigen. Schon dort habe ich angefangen die Kamera mitzunehmen, um meiner Mutter zu zeigen was ich da eigentlich mache – denn von Haus aus habe ich keinen Zugang zum Bergsteigen.

Die Ausbildung als Bergführer schwebte schon lange als Traum im Kopf herum, war für mich als Flachlandtiroler aber ähnlich unerreichbar wie der Mond. Über meine Arbeit bei Mammut in der Hardwareabteilung lernte ich den Stephan Siegrist kennen. Er, Ralf Weber und Denis Burdet nahmen mich mit zu meiner ersten Expedition an den Thalay Sagar in Indien. Dort hatte ich wie immer meine Kamera dabei und im Anschluss konnte ich ein paar der Bilder an Zeitschriften und Sponsoren verkaufen. Da realisierte ich zum ersten Mal, dass man mit der Fotografie auch Geld verdienen könnte. 

Zeitgleich hatte ich in der Schweiz meine Ausbildung zum Bergführer begonnen. So gesehen ist beides parallel gewachsen. Gleichzeitig hatte ich das Glück mit Stephan Siegrist einen Bergsteiger zu haben, der für seinen Beruf als Profisportler Bilder braucht.

Dann gib uns doch mal einen kleinen Einblick in diese beiden Bereiche: Wohin und aufwelche Gipfel hat es dich schon als Bergsteiger verschlagen?
Mehr als zehn Jahre lang war ich ausgesprochen viel in der Weltgeschichte unterwegs. Immer wieder war ich in Indien, zuerst am Thalay Sagar, danach am Arwa Tower. Später drei Mal im Kisthwar, wobei wir verschiedene Berge erstbesteigen konnten. Außerdem ein paar Mal in Nepal. In Patagonien konnten wir im dortigen Winter als erste auf den Torre Egger, außerdem noch auf den Fitz Roy und den Cerro Standhart. Später habe ich Ines Papert und Mayan Smith Gobat an den Torres del Paine in der Route „Riders on the Storm“ begleitet. Mit Valery Rozov, einem russischen Basejumper, ging es unter anderem zum Everest, dem Kilimanjaro, auf den Elbrus und in die Antarktis. Die Liste ließe sich noch ziemlich lange fortsetzten; Kirgistan, China, Kanada, etc.

Sehr beeindruckend. Welche Projekte konntest du mit der Kamera umsetzen?
Auf eigentlich allen Reisen und Berggeschichten hatte ich die Kamera dabei. Nur als Bergführer und wenn ich für mich unterwegs bin, genieße ich es die Welt außerhalb des Kleinbildformats wahr zu nehmen.

Im Laufe der Jahre hat man so manchen Alpinisten vor der Kamera. Viel war ich mit Stephan Siegrist, Ines Papert und Dani Arnold unterwegs. Dazu kommen noch diverse andere wie Alex Huber, Michi Wärthl, Fabi Buhl, Caro North, Roger Schäli, um einige zu nennen. Gerade in den großen Wänden ist es natürlich nicht immer nur jupiduh und nicht alles verläuft nach Plan. Mit Ines Papert saß ich zehn Meter unter der Gipfelwächte eine Nacht im Hängebiwak fest, weil wir im Dunkeln keinen Durchschlupf mehr gefunden hatten. Beide trugen wir Erfrierungen zweiten Grades an den Füssen davon. In solchen Momenten noch die Kamera in die Hand zu nehmen, braucht halt etwas Enthusiasmus. Aber es sind genau die Bilder die später Geschichten erzählen – einfach, weil sie absolut authentisch sind und ohne große Bildunterschrift auskommen.

Ines Papert hat uns erst im Portrait der letzten Ausgabe davon erzählt. Das klingt  nach einer brenzligen Extremsituation und überhaupt nicht nach dem Alltag eines Fotografen.
Das stimmt. Mit Valery Rozov stürzten wir auf über 5000 m mit dem Helikopter auf dem Elbrus ab – kamen aber alle wie durch ein Wunder mit nicht allzu großen Blessuren davon. Zwei Monate später, beim nächsten Versuch, diente uns das Wrack dafür als willkommene Biwakschachtel.

Alles in allem braucht es hier und da ein wenig Glück, aber vor allem auch in schwierigen Situationen viel Humor – und ein Team, das aus Freunden besteht und bereit ist jederzeit füreinander einzustehen. Wenn nur der Gipfel und die Selbstverwirklichung das Ziel sind – bitte ohne mich. Demgegenüber kann ich mit jedem mit dem ich unterwegs war noch ein Bier trinken gehen und herzhaft über all die kleinen Anekdoten und Missgeschicke lachen.

Hast du dir die Kamera-Arbeit eigentlich selbst beigebracht? Wie lief dieser Weg für dich ab?
Ja ich habe nie wirklich eine Ausbildung in dem Bereich genossen. Relativ spät habe ich mal ein CAS Dokumentarfilm gemacht. Ich denke grundsätzlich sind mittlerweile eh alle Informationen sehr breit und leicht zugänglich und schlussendlich ist es eine Frage der Motivation und Selbstreflexion. Dazu kommt vielleicht, dass es bei Bergbildern vor allem auch darum geht, überhaupt ein Bild zu machen – auch wenn man sich lieber in einer Hütte verkriechen würde – und weniger um die absolut perfekte technische Umsetzung.

Worin besteht der Reiz in den Bewegtbildern? Und wo liegt für dich der größte Unterschied zwischen Foto und Film?
Anfänglich kam der Zugang zum Film für mich mehr aus dem Wunsch der Auftraggeber heraus auch Bewegtbild mit heimzubringen. Schnell erkannte ich aber, dass mit dem Film sich Geschichten noch einmal ganz anders erzählen lassen. Auch beim Foto geht es mir darum Geschichten zu erzählen. Sie sind aber ein Stück weit eindimensional, wenn man so will. Es existiert kein vorher und nachher, außer vielleicht im Kopf des Betrachters. Vor allem fehlt der Ton und damit die Möglichkeit Gedanken weiterzugeben. Dazu kommt, dass beim Bergsteigen mit der eingeschränkten Bewegungs- und Gestaltungsfreiheit irgendwann die Grenzen für mich erreicht waren. Man kennt die Perspektiven und den Bildaufbau, der funktioniert. Vielleicht bin ich zu wenig Künstler, um in meinem Bereich ganz andere Herangehensweisen zu finden. Der Film hat mir aber dennoch eine neue Welt eröffnet. Auf einmal kann man Geschichten erzählen, wie ein Schriftsteller – nur eben mit Bildern (zumindest könnte ich es gerne…)

Kannst du uns einen Einblick in einen typischen Arbeitsalltag geben? Welcher Aufwand steckt hinter den Bildern?
Ich denke das wichtigste ist, dass man in dem Bereich, in dem man fotografiert daheim ist. Also nur wenn ich mir das Gelände und wie man sich darin bewegt automatisch vorstellen kann und mit den alpinistischen Ansprüchen nicht überfordert ist, habe ich überhaupt Kapazität mich auf die Kameraarbeit zu konzentrieren. Mit einer Taucherausrüstung im Ozean würde ich kaum ein brauchbares Bild heimbringen. 

Dann kommt es darauf an. Für ein „Modeshooting“ muss ich natürlich genau wissen wann ich wo sein will. Wo die Sonne aufgeht, ob ich mich überhaupt richtig platzieren kann, etc. Eine Fernsehdokumentation auf das Matterhorn ist ähnlich. Ich muss den Ablauf des Tages (wann wo wie Abmarsch, schwierige/fotogene Stellen, Sonnenverlauf, etc.) fertig im Kopf haben. Nur wenn man mental immer zwei Schritte voraus ist, hat man noch Zeit und Kapazität auf unvorhergesehenes zu reagieren und den Bildaufbau zu bestimmen.

Bei einer Begehung einer Route in Indien muss man natürlich nehmen was kommt. Und dann geht es darum wieviel alle bereit sind zu investieren. Mit Profialpinisten ist klar, dass man zum Beispiel beim Abseilen nach dem Gipfel, oder auch schon im Aufstieg, die eine oder andere Seillänge zwei Mal klettert, um die gute Perspektive von oben zu bekommen. Und wenn ich der Meinung bin, dass es ein gutes Bild gibt, heißt es halt zum Sonnenuntergang noch mal raus aus dem Zelt, statt gemütlich im Schlafsack zu liegen. 

Was für Equipment nutzt du? Das ist sicherlich nur sehr allgemein zu beantworten, aber vielleicht kannst du uns etwas über deine Kameraausrüstung erzählen.
Zum Fotografieren bin ich zurzeit meist mit meiner Nikon D850 unterwegs. Für das Filmen habe ich eine Sony FS5 und natürlich gehört heutzutage eine Drohne auch häufig in das Gepäck. Grundsätzlich gäbe es natürlich leichtere Alternativen, aber das Material muss funktionieren, bei -20 Grad, mit Handschuhen, im Schneesturm. Kleine Knöpfe zu viel Technik und Spielerein funktionieren im Tal und mit unendlich viel Zeit bei Sonnenschein. In den Bergen habe ich es gerne simpel und robust. Klar wäre manchmal zum Beispiel ein stabilisiertes Bild beim Filmen schön. Aber meist endet das damit, dass man gar kein Bild hat, weil man nur mit der Technik beschäftigt ist, oder diese den Geist aufgibt, wenn es spannend wird. 

Hast du so etwas wie ein „Lieblingsfoto“?  Vielleicht ein Foto, mit dem du besonders viel verbindest, oder über das du dich besonders gefreut hast?
Mmh, ein Lieblingsbild in dem Sinn habe ich nicht. Aber in Norwegen machten wir mal ein Bild mit Dani Arnold beim Eisklettern, wo wir den ganzen Eisfall beleuchteten. Die Idee hatte ich schon ein paar Jahre vorher. Aber es sollte noch einige Zeit vergehen, bis ich einen Auftraggeber davon überzeugen konnte. Wir reisten mit einem ganzen Team aus Technikern, Athleten und Helfern an. Für jemanden der es gewohnt ist allein zu arbeiten eine ziemlich andere Welt und hat doch ziemlich Eindruck auf mich gemacht. Das es am Ende funktionierte und wir noch einen Preis für das Foto bekamen, hat die Sache zu einem schönen Abschluss gebracht. 

Die gleiche Frage, nun aber auf den Film bezogen. An welche Filmproduktion denkst du besonders gern zurück?
Das ist einfacher zu beantworten. Bei meinem Film „Isabella“ geht es um die Wintererstbesteigung des Montblanc 1876 durch eine englische Lady. Wir versuchten die Besteigung in Originalausrüstung nachzuvollziehen und scheiterten fulminant. Da ich das Projekt komplett selbst finanziert habe, war ich nichts und niemanden verpflichtet. Diese gestalterische Freiheit verbunden mit unserem vermeintlichen Scheitern am Berg hat eine Geschichte entstehen lassen, mit der ich persönlich viel verbinde – ein Erfolg im kommerziellen Sinn war es natürlich nicht.

Was wird die Zukunft für dich bringen? Gibt  es schon geplante Projekte? Oder vielleicht träumst du von einer ganz bestimmten Aufnahme?
Im Moment kommt meine kleine Familie an erster Stelle und große Bergprojekte müssen warten oder haben an Bedeutung verloren. Für die Zukunft unseres Planeten wäre ich lieber Teil der Lösung als Teil des Problems. In diesem Sinne sehe ich durchaus Ansatzmöglichkeiten beim Bergsteigen und mit der Kamera. Ob und wie sich diese verwirklichen lassen wird die Zukunft zeigen.


Besten Dank für das Interview und viel Erfolg für die Zukunft!

Interview: Benni Sauer

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