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Nachhaltiges Eggental

Der Sehnsuchtsort von morgen!

Südtirol hat in gewisser Weise schon immer eine Vorreiterrolle, quasi eine Vorbildfunktion. Die Südtiroler waren es, die bereits im 19. Jahrhundert den aufkommenden Tourismus wie kaum eine andere Region zu lenken verstanden. Es waren die Südtiroler, die weltweit als Erste eine funktionierende Bergrettung auf die Beine stellten. Und es waren die Südtiroler, die ein so vorbildliches Mountainbike-Beschilderungssystem einführten, dass es selbst heute noch erweitert, ausgebaut und vervielfältigt wird. Jetzt stellen sich die Südtiroler einer neuen Herausforderung. Einem gigantischen Pilotprojekt mit ausgesprochen hochgesteckten Zielen.


Endlich wieder Skifahren? In den Südtiroler Dolomiten ist das problemlos möglich. Bei unserem Besuch im Eggental werden wir aber nicht nur ein lückenloses Konzept für die Sicherheit aller Wintersportler finden, sondern darüber hinaus auch noch einen Masterplan, damit genau das auch in Zukunft weiterhin möglich sein wird. Vor einigen Jahrzehnten, da steckte die Idee noch in den Kinderschuhen. Heute geht man mit großen Schritten vorwärts. Und bald schon wird das Eggental die Ferienregion von morgen sein.


Als wir über den Brenner fahren, eröffnet sich uns aber zunächst einmal noch das gewohnte Bild: Wir wechseln vom trüben Wetter auf die Sonnenseite der Alpen. Den wolkenverhangenen Himmel lassen wir dabei hinter uns. Von nun an regieren die Farben Blau und Weiß.

Nächste Ausfahrt: Paradies

Keine zwanzig Minuten nachdem wir die Autobahn verlassen haben, türmen sich vor uns die ersten Felsbastionen der Dolomiten auf. Der Rosengarten leuchtet zu dieser Uhrzeit sogar bis nach Bozen herunter. Aber auch der Latemar, mit seinen unzähligen Felstürmen, strahlt einer Flamme ähnlich in den Abendhimmel hinauf. Unter diesen Wänden liegen weite Schneefelder und wiederum unterhalb dieser ist nicht viel mehr zu sehen als Wald. Dichter, naturbelassener, scheinbar nicht enden wollender Wald. Allein schon dieser Anblick ist eine Wohltat für Körper, Geist und Seele.


Nach einem preisgekrönten Skigebiet jedoch sieht das im ersten Moment so gar nicht aus. Aber dennoch: Auch 2021 wurde das Obereggen im Ski Center Latemar wieder einmal zum Testsieger in der Kategorie „Weltweit führendes Skigebiet bis 60km Pisten“ gekürt. Wir beschließen uns also überraschen zu lassen und schlagen den Weg zu unserem Hotel ein. Schon auf dem Weg dorthin wird uns schnell klar, was das Eggental so besonders macht. 


Keineswegs müssen wir uns nämlich dabei durch riesige Parkplatzwüsten bahnen. Selbst jetzt am Abend, wenn die Liftanlagen schließen, ist der Trubel überschaubar, sind die Straßen frei. Ermöglicht wird das durch ein eng getaktetes Bussystem, das Skifahrer gratis von den Dörfern im Eggental hinauf und natürlich auch wieder hinunterbringt.

Dieses Thema wird im Hotel gleich nahtlos fortgesetzt. Alle sieben Orte des Eggentals haben sich nämlich der Nachhaltigkeit verschrieben, und dazu gehört, neben plastikfreiem Frühstücksbuffet, eben auch die Verarbeitung lokaler Produkte. So ist hier selbst das Tafelwasser den Quellen der Dolomiten entsprungen. 


Dass hier aber nicht nur Anfahrt und Kulinarik einem genau durchdachten Konzept folgen, sondern schlicht der gesamte Tourismus, sommers wie sogar winters, können wir uns in diesem Moment nur schwer vorstellen. Und so verabreden wir uns für den Folgetag mit Siegfried Pichler, dem Präsidenten, und Thomas Ondertoller, dem Marketingexperten der Bergbahnen Obereggen Latemar AG.

Das Nachhaltigkeitsprogramm Südtirol

Der Morgen beginnt mit einem ausgiebigen Frühstück – für alle Sinne. Denn hinter den Panoramascheiben leuchten schon bald Schwarz- und Weißhorn in der Morgensonne um die Wette. Uns aber hält es dennoch nicht allzu lange am Tisch. Wir wollen raus!

Der Weg auf die Pisten von Obereggen ist im Hotel Cristal glücklicherweise ausgesprochen kurz. Nachdem wir die Ausrüstung angelegt haben, verlassen wir den Skikeller und stehen schon direkt inmitten des Skigebiets. Hier erstrecken sich dann doch -vom Tal fast unsichtbar versteckt- 48 Pistenkilometer. Angrenzende Skigebiete lassen die Pistenkilometer sogar noch auf die beeindruckende Kilometeranzahl von 1200 heranwachsen. Unterschiedliche Ski- und Saisonpässe erlauben den Wintersportlern dabei ein Maximum an Flexibilität und auch wir befinden uns schon bald einige Täler weiter, genießen herrlich staubenden Schnee und eine grandios gut durchdachte Infrastruktur. Dass die Skigebiete im Eggental all das auch noch unter einer grünen Fahne auf die Beine stellen konnten, setzt der Geschichte nur noch die Krone auf.

Siegfried Pichler ist auch dementsprechend stolz, als er uns in der schicken Oberholzhütte die Einzelheiten dieser spannenden Geschichte erläutert. Wir sollen uns doch nur einmal umschauen, rät er uns und breitet dabei die Arme aus. Während wir folgeleisten, beginnt der Bergbahnen-Präsident zu erzählen: Die Oberholzhütte sei nämlich ein ganz wunderbarer Ort, um zu verstehen, wo das Eggental schon in naher Zukunft hinwill. Die Küche wird ausschließlich mit grünem Strom betrieben. Was auf den Teller kommt, ist fast ausschließlich regional. Das Gebäude selbst ist großzügig mit heimischem Lärchenholz ausgekleidet. Und selbst die Heizenergie bezieht das moderne Bauwerk zu 100% aus Erdwärme. 

So ähnlich funktioniert das im gesamten Tal, wo immer häufiger Plastik verbannt, und Recycling großgeschrieben wird. Das gilt natürlich genauso für das zweite große Skigebiet im Eggental, dem Carezza Dolomites. Seit nun schon zehn Jahren darf es sich Klimaskigebiet nennen, konnte durch ausgeklügelte Beschneiungstechnik und optimierte Präparierungsmethoden sogar 30% Treibstoff und 25% Strom einsparen. 2019 trat man hier dem Klimaneutralitätsbündnis 2025 bei. Das Carezza Dolomites soll also gänzlich klimaneutral werden. Ein hochgestecktes Ziel, dessen ist man sich durchaus bewusst. Das Carezza Dolomites ist aber auch das weltweit erste privatgeführte Skigebiet, dass sich dieser Herausforderung überhaupt stellt! 


Darüber hinaus, so ergänzt Ondertoller, hat sich nun aber auch das gesamte Eggental beim Projekt „Nachhaltigkeitsprogramm Südtirol“ beteiligt – wohlgemerkt wieder als Pilotregion! So möchte man die Nachhaltigkeit im Tourismussektor messbar machen und eine GSTC-Zertifizierung anstreben. Es geht also um nicht weniger als die Erfüllung der höchsten sozialen und umweltspezifischen Standards überhaupt. 

Und was kommt jetzt davon auf der Piste an?


Das alles klingt nun schon fast zu schön, um wahr zu sein, da stimmen uns die beiden Eggentaler schon zu. Doch um uns zu überzeugen, nehmen uns die Beiden einfach mit vor die Tür, wo man ja sofort sehen könne, wie gut ein sanfter Tourismus funktionieren kann. Man muss nur hinschauen!

Wieder einmal sollen die Bergbahnler Recht behalten. Schon das Bild der imposanten Oberholzhütte ist plötzlich ein ganz anderes: Von außen ist nicht viel mehr zu sehen als die drei fingerartigen Fenstervorsprünge, die sich aus dem Berg zu schwingen scheinen. Der Rest fügt sich derart gut ins Bergpanorama, dass er bereits nach einigen Metern größtenteils, und vom Tal aus sogar ganz verschwindet. Dass also das durchaus weitläufige Pistennetz, die Hütten und Liftanlagen von der Talstraße höchstens zu erahnen sind, ist keineswegs nur ein glücklicher Zufall!

Die Energie & Fernwärme für das alles? Kommt direkt vom Talort, wo ein Fernheizwerk mit regionaler Biomasse (Hackschnitzel) seit 2007 den ganze Ort Obereggen inklusive Hotels und Bergbahnen-Büros beheizt und für ganz Obereggen inklusive Hotels und Bergbahnbüros Strom erzeugt – Aufstiegsanlagen eingeschlossen! Das spart Obereggen eine halbe Million Liter Heizöl. Jahr für Jahr. Aber auch hier weiß man, dass sich der Teufel nur zu gerne im Detail versteckt und so soll Plastik bis 2025 nicht nur aus dem Talort, sondern auch aus den Berghütten verbannt werden. Der Verkehr wird weiter minimiert und selbst bei der Pistenarbeiten eine Samenmischung gesät. So soll die wichtige Biodiversität der Almwiesen nicht nur erhalten, sondern gleich auch noch gefördert werden. 

In diesem dunkelgrünen Gesamtbild scheinen die Schneekanonen am Pistenrand anfänglich noch etwas fehl am Platz. Doch selbst hier hat man sich über jedes noch so kleine Detail Gedanken gemacht. So wird der Schnee dank modernster Technik so effizient wie nur irgendwie möglich auf den Pisten verteilt. Zentimetergenaue Messungen. Intelligente Anlangen. Nachhaltig produzierter technischer Schnee. All das ist Tagesordnung im Eggental. Drüben im Carezza Dolomites beispielsweise wird das dafür benötige Wasser übrigens das ganze Jahr über im hauseigenen Speicherbecken gesammelt – und im Winter der Natur in Form hauchzarter Eiskristalle wieder zurückgegeben. Dieses Speicherbecken ist nicht nur das größte, sondern zudem auch noch das modernste und umweltfreundlichste seiner Art in ganz Südtirol!


Ein (nicht ganz) neuer Blickwinkel

Nach so vielen Informationen, nach so viel Theorie, beschließen wir wieder die Ski anzulegen. Und schon nach den ersten Schwüngen, wir können es nicht leugnen, macht sich tief in unserem Inneren ein durchaus positives Feeling breit: Das gute Gewissen so grün wie nur irgendwie möglich Skifahren zu können? Hat was!


Abends leuchtet dann noch einmal das Eggentaler Horn, bevor ihm hinter ebendiesem der Halbmond eindrucksvoll die Show stiehlt. Es wird ruhig in Obereggen.

Die Nacht bringt nicht nur eine wohltuende Ruhe, sondern auch wieder das Bewusstsein, dass wir uns hier in einer schützenswerten, naturbelassenen, sensiblen Bergwelt befinden. Und so kann nicht einmal das ferne Stadtlicht Bozens die unzähligen Sterne daran hindern, still und magisch über Obereggen zu funkeln.


An unserem letzten Morgen im Eggental glitzert die Schneedecke ähnlich zauberhaft wie der Nachthimmel zuvor und wir sind uns schnell einig, dass wir heute noch ein wenig mehr der wohltuenden Ruhe aufsaugen möchten. Statt den Skiern schnallen wir uns deswegen Schneeschuhe an und beginnen mit einem Aufstieg durch den tiefen Wald des Eggentals. Anfangs schimmert die Sonne nur ab und an mit fast waagrecht gerichteten, orangegelben Strahlen durch die Fichten. Doch als wir auf etwa 1800 Metern auf den sogenannten Perlenweg gelangen, verwöhnt uns die Sonne mit all ihrer Kraft. Der Panoramablick öffnet sich schon bald und präsentiert eine eindrucksvolle Szenerie, die vom Ortler bis weit hinter den Similaun reicht.


Uns fasziniert dabei aber etwas anderes weit mehr: Trotz der direkten Nähe zum Skigebiet verlieren wir uns fast völlig in der Natur – irgendwo zwischen den Felswänden des Latemar auf der einen, und der beeindruckenden Weite auf der anderen Seite. Teils erlaubt uns das Wegenetz sogar kleine Abstecher vom präparierten Weg, wo wir auf unberührte, schneebedeckte Pfade treffen, auf denen wir uns wie abenteuerlustige Entdecker einen Weg bergauf spuren. Natur pur!

Eine willkommene Pause bietet uns da das kleinste Hüttchen im Skigebiet, der Weigler Schupf. In der urigen Stube finden kaum mehr als zwei Tische Platz, die frühere Hüttentür, in der sich über Jahrzehnte so mancher Wirt und Hirte verewigt hat, gibt dem rustikalen Ambiente noch den Rest. Weil es aber draußen ohnehin viel schöner ist, lassen wir uns die deftige Südtiroler Kost lieber unter freiem Himmel schmecken und verabschieden und schon bald wieder vom Hüttenwirt Markus Plank und Freundin Julia, die das kleine Häuschen am Pistenrand nun schon seit fast zwei Jahrzehnten bewirtschaften. 


Auch das Wirtspärchen wird froh sein über die Maßnahmen, die Siegfried Pichler gemeinsam mit seinen Kollegen im Eggental zunehmend umsetzt. Dabei ist die Idee des nachhaltigen Skitourismus gar nicht so neu. Wie wir gelernt haben, wird in den Südtiroler Dolomiten schon seit Jahrzehnten daran gefeilt. Und so kann der Hüttenwirt durchaus zuversichtlich in die Zukunft blicken und uns sicher auch noch weitere zwanzig Jahre diesen kleinen, aber feinen Einkehrschwung ermöglichen. 


Ähnlich zuversichtlich lassen auch wir unseren Gedanken freien Lauf. Satt und zufrieden sitzen wir in dem „Eye of the Dolomites“, einer kugelförmigen Holzstruktur, deren einzige Öffnung einen malerischen Blick auf das Latemar-Massiv ermöglicht. In ihrem Inneren ist eines der wohl berühmtesten Zitate Messners eingraviert, während die Bauart die Insassen fast schon dazu zwingt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Die Erhaltung dieser märchenhaft schönen Bergwelt. 


„Wie schön“, murmeln wir uns da entgegen. „Wie schön, dass sich hierüber alle Eggentaler so wunderbar einig sind!“ Damit wir nicht nur heute einen fulminanten Skitag in Obereggen erleben dürfen. Sondern auch noch morgen!

Autor: Benni Sauer

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