So still wie im Villnösstal zeigt sich Südtirol nur selten. Dabei gibt es hier viel zu entdecken: Neben einem weltbekannten Postkartenmotiv etwa überaus lohnende Skitouren, die einzigartigen Teiser Kugeln und mit dem Villnösser Brillenschaf die älteste Südtiroler Schafrasse.
In Südtirol gibt es Insta- und Postkartenmotive am laufenden Band, doch ein Bild sticht heraus: das idyllische Villnösstal mit seinen Höfen und Weilern inmitten sanfter Wiesen und dichter Wälder und darüber ein gezackter Felskamm. „Die Geislerspitzen sind das meistpublizierte Dolomitenmotiv weltweit“ meint Oskar Messner, „noch vor den Drei Zinnen“. Die Erklärung liegt für ihn auf der Hand: „Die Drei Zinnen zeigen eine schroffe Gebirgslandschaft – ein Highlight für jeden Alpinisten –, doch im Villnösstal sehe ich neben den markanten Felsspitzen Wälder, Häuser und Wiesen; die von Bauern gepflegte Kulturlandschaft macht das Motiv einladender – und Urlaub greifbar“.
Natürlich ist die Einschätzung von Oskar Messner subjektiv, immerhin ist er hier aufgewachsen und stolz auf seine Heimat, aber nachvollziehbar. Im Villnösstal unweit von Brixen erlebt man die Dolomiten von ihrer schönsten Seite: grandios, faszinierend und ursprünglich. Sanfter Tourismus heißt das schöne Schlagwort, das hier am Rande des über 10.500 Hektar großen Naturparks Puez-Geisler seine volle Berechtigung hat. Zum Glück haben die Villnösser die große Erschließungswelle mit Liften und Pisten verschlafen, so dass die unberührte Natur heute ihr größtes Kapital ist, das Jahr für Jahr wertvoller wird. Ein Glücksfall für Urlauber, die Ruhe und Einsamkeit suchen statt Lärm und Trubel. Wie still es ist, das überrascht dann allerdings doch wieder. Natürlich haben sich die Möglichkeiten herumgesprochen, doch die Skitourengeher, Winter- und Schneeschuhwanderer verteilen sich bestens. Selbst am Großen Gabler, dem höchsten Gipfel der eher für ihr Skigebiet bekannten Plose, ist es überraschend ruhig. Am Gabler sind die Lifte gefühlt ganz weit weg, stattdessen genießen einige Skitourengeher die sonnigen, schier endlosen XXL-Hänge mit diversen Abfahrtsvarianten und den Traumblick auf den Kleinen Peitlerkofel, dem vielleicht sportlichsten Skitourenziel im Villnösstal.
Ein Traum, der abends bei Oskar Messner in seinem Lokal Pitzock weitergeht. Früher war das eine ganz normale Bar, die sein Vater im Jahr 1964 eröffnete. Ende der 90er ist Oskar eingestiegen und brachte mit Happy Hour und Livebands etwas Schwung in den Laden. „Doch dann bin ich an einen Punkt gekommen, an dem ich etwas ändern musste“ erinnert sich der gelernte Koch, „langsam reifte die Idee eines Restaurants und im Jahr 2004 habe ich das Pitzock aufgesperrt.“ Zu seiner Philosophie gehörte schon damals die Zusammenarbeit mit lokalen Produzenten und so dauerte es nicht lange, bis er auf das Villnösser Brillenschaf aufmerksam wurde. „Für mich war das erst einmal das Schaf, das es immer schon im Tal gab“ erinnert sich der mittlerweile mit zwei Hauben vom Gault-Millau ausgezeichnete Koch, „doch dann lernte ich, dass es sich dabei um die älteste Südtiroler Schafrasse handelt, die zudem vom Aussterben bedroht ist“.
Das Villnösser Brillenschaf hat zwar ein feinfaseriges Fleisch, doch in erster Linie handelt es sich hier um eine Wollrasse – und Wolle hatte vor einigen Jahren keinen Wert mehr, für die Entsorgung mussten die Bauern sogar zahlen. „Unser Anliegen ist es, die Tradition der Schafzucht zu erhalten, und das machen wir, indem wir die Abnahme zu einem festen Preis das ganze Jahr über garantieren“ erklärt Oskar, „damit kann der Bauer wieder kalkulieren“. Das Fleisch wird verarbeitet und veredelt, die Wolle weiterverarbeitet – belohnt wurde das Projekt Villnösser Brillenschaf im Jahr 2011 mit der Aufnahme in den Kreis der „Presidi Slow Food“. Die Auszeichnung war für Oskar Messner Ansporn für das nächste Projekt. „Wir wollen aus dem Villnösstal die erste Slow Food Travel-Region Südtirols machen“ erzählt er, „unser Ziel ist ein nachhaltiger Tourismus, bei dem auch Platz ist für die Wertschätzung der Arbeit am Hof“.
Dazu gehört natürlich auch eine unberührte Bergwelt, die sich im Winter in ein Skitourenparadies verwandelt. Während man am Zendleser Kofel, dem mit Abstand beliebtesten Skitourenziel des Villnösstals, oder auf dem benachbarten Rücken von Medalges die Felsabbrüche der Dolomiten mit etwas Abstand betrachtet, steht man in der Mittagscharte mitten drin in dieser einmaligen Bergwelt. Die gut fünf Kilometer lange Felsbarriere der Geislerspitzen besitzt mit der Mittagscharte genau eine Schwachstelle – und die lockt Tourengeher mit einem nordseitigen Traumhang mit Pulverschneegarantie. Hier gibt es mehr als genug Platz für eigene Spuren, die Mittagscharte ist ein Traum in Weiß.
Während hier das zerklüftete Dolomitgestein für eine fotogene Kulisse sorgt, stößt man am Taleingang rund um Teis auf vulkanisches Tuff- und Lavagestein, das dort vor 290 Millionen Jahren an die Erdoberfläche quoll. Beim Abkühlen entstanden Gasblasen, in die chemische Lösungen eindrangen – und kristallisierten. „Bis zu sieben verschiedene Halbedelsteine können in einer Teiser Kugel vorkommen“ erzählt Elisabeth Bodner, „das ist weltweit einzigartig“. Die Kugeln müssen in Handarbeit mit Hammer und Meisel aus dem harten Muttergestein herausgearbeitet werden und dann vorsichtig geöffnet werden. „Wir durften nur das Essen bringen und abends dann die Fundstücke bewundern“ erinnert sie sich an ihre Kindheit und ihren Vater, der nach den Teiser Kugeln suchte, um die mehrköpfige Familie zu ernähren, „irgendwann war das ganze Haus voller Steine und ich hatte genug“. Doch das Interesse kam wieder, seit dem Jahr 2000 leitet sie das Mineralienmuseum Teis, in dem anfangs mit 1000 Besuchern im Jahr gerechnet wurde – mittlerweile sind es knapp 10.000.
Kein Wunder, die Teiser Kugeln sind einzigartig. Genauso wie das Tal, in dem weder wuchtige Hotelbauten noch Bahnen oder planierte Pisten den harmonischen Eindruck trüben. Hier wird einerseits Wert auf Tradition gelegt, andererseits ist man offen für Neues. „Mit dem Bau unserer Fernheizwerke haben wir gleichzeitig Glasfaser legen lassen – wir waren im Villnösstal die ersten mit Breitband in Südtirol“ erzählt Engelbert Weirather stolz, „alle unsere Hütten und Almen sind an die Kanalisation angeschlossen – und ans Stromnetz“. Als Bergführer ist er so oft es geht mit Skiern in seinen Heimatbergen unterwegs – und sitzt nebenbei im Verwaltungsrat von Energie Villnöss. Mittlerweile gibt es drei Wasserkraftwerke, zwei Fernheizwerke und eine Photovoltaikanlage – das Tal ist damit schon seit Jahren energieautark. „Außerdem wurden im ganzen Tal die Stromleitungen unterirdisch verlegt“ freut er sich. Vielleicht ist das Postkartenmotiv auch deshalb so außergewöhnlich: Keine einzige Leitung stört die Traumansicht.
Autor: Stefan Herbke
Anreise: Über die Brennerautobahn zur Ausfahrt Klausen und weiter ins Villnösstal. Mit dem Zug nach Brixen und mit dem Bus im Stundentakt ins Villnösstal.
Beste Zeit: Januar bis April.
Skitourenführer: Stefan Herbke: Skitourenführer Dolomiten, Bergverlag Rother, 4. Auflage 2019
Bergführer: Engelbert Weirather, Tel.: +39(0)348 8193851, www.bergengl.com
Auskunft:Villnöss Tourismus, Tel.: +39(0)472 840180, www.villnoess.com
Hinweis: Das Mineralienmuseum Teis (www.mineralienmuseum-teis.it) hat an Weihnachten und dann wieder ab dem Sonntag vor Ostern geöffnet. Das Pitzock hat bis auf Mittwoch täglich geöffnet.
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