„Geht es dort oben weiter?“ In meiner Antwort schwingt Unsicherheit und Müdigkeit mit: „Franz, ich weiß es nicht, bitte warte kurz“. Meine Worte verlieren sich im thermischen Wind. Wolkenfetzen ziehen um die steilen Grate des 3264 Meter hohen Antelao. Längst habe ich mich gegen die abdrängende, am Ausstieg senkrechte Verschneidung über mir, vermutlich Kletterei im 3. Schwierigkeitsgrad, entschieden. Die Wand um mich herum liegt im Schatten, die Griffe und Tritte sind noch immer vereist, jeder Meter fordert meine volle Konzentration. Unter mir bricht die Nordostwand des Berges über 600 Höhenmeter zum zerrissenen Antelaogletscher ab. Vorsichtig folge ich einem abschüssigen Band zurück in die wärmende Sonne. Flache Passagen sind auch hier noch vom Neuschnee der gestrigen Kaltfront bedeckt. Endlich öffnet sich das Gelände und ich entdecke eine vielversprechende Abfolge von Rampen und Bändern hinauf Richtung Gipfel. „Franz, hier sieht es gut aus“.
Matterhorn, Mont Blanc, Drei Zinnen, Piz Palü, Großglockner, Zugspitze, die Reihe an hoffnungslos überlaufenen Modebergen ließe sich beliebig fortführen. Für viele Bergsteiger definiert sich ein Traumberg jedoch viel individueller: der Wohnort, der Freundeskreis, das eigene Können, die Vorlieben in Fels oder Eis, all das spielt diesbezüglich eine Rolle. Meine persönlichen Traumberge sind oftmals „nicht die höchsten“ und schon gar nicht die „berühmtesten“. Für mich sind es eher die abenteuerlichen und einsamen Gipfel die mich locken. Von manchen Bergen träume ich viele Jahre, bis endlich, wenn die Zeit Reif ist, die Besteigung gelingt. So manch eine Tour ist dann wie ein anspruchsvolles Puzzle. Erst wenn alle Teile passen steht man am Gipfel.
Leichte Bergtouren und Wanderungen erleben wir oft wie eine vergnügliche Meditation. Die Gedanken verlieren sich, die Seele entspannt sich, das Vergnügen dominiert, die aktive Erholung nährt unser Sein. Am Antelao war es nicht einmal die technische Schwierigkeit, die diesen Aufstieg zu etwas Besonderem machte, es waren die vielen schwierigen Entscheidungen die, bis zuletzt, unsere volle Konzentration und all unsere Erfahrung forderten. Selbst die scheinbar banale Entscheidung zu Beginn der Tour welchen Schuh ich anziehe, hätte über meine Gesundheit oder gar mein Leben entscheiden können. Von unten sah der Neuschnee harmlos aus. Ich war mir sicher, dass der leichte, klettertaugliche Zustiegs-Schuh mir auf den legendären „Laste“, jenen gefürchteten und bis 40 Grad steilen Platten des Antelao, viele Vorteile bringen würden. Die Nachteile im Schnee wollte ich durch Erfahrung, Können und Mut ausgleichen.
Tatsächlich folgte ich Franz und Winni wie auf rohen Eiern auf abschüssigen Bändern und Platten. Unter dem Schnee versteckte sich eine hauchdünne Eisschicht. Spätestens dort bereute ich meine Entscheidung. Die viel griffigeren Sohlen der beiden bissen sich regelrecht in den harschigen Schnee und sorgten so für sicheren Halt.
Aber irgendwann, nach vielen Stunden standen wir dann doch oben und umarmten uns. Wieder ging ein Traum in Erfüllung.
(...)
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