Wir befinden uns im Naturpark Gantrisch, etwas weniger als eine Stunde südlich von Bern. Noch hängen die Wolken schwer, nur knapp über dem Berghaus Gurnigel, weswegen ich gemeinsam mit meinem Bergkammeraden immer wieder nervös den Wetterbericht checke. Die Vorhersage aber verheißt glücklicherweise Gutes. Klarer Himmel!
Berge mal anders Es gibt unzählige Gründe, die für einen Ausflug in die Alpen sprechen. Tolle Ausblicke, Gipfelmomente und sportlicher Ehrgeiz beispielsweise. Aus naheliegenden Gründen konzentrieren wir uns dabei aber meist auf den Tag. Die Nacht wird viel zu oft vergessen. Anders ist das im Naturpark Gantrisch. Das Konzept eines solchen Naturparks geht weit über den Umweltschutz hinaus und vereint die Wünsche und Ansprüche von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt gleichermaßen. Geschaffen wird dadurch ein Raum für alle. Auch für Nachteulen.
Meine Begleitung ist derweil zwar gespannt auf seine erste Sternennacht, wirft aber noch immer eher fragende Blicke in den Himmel über uns. 2012 erkannte man hier am Gantrisch, dass die Region durchaus von nationaler Bedeutung ist und erklärte teilweise sogar ehemaliges Militärübungsgebiet offiziell zum Naturpark. Im 400 Quadratkilometer umfassenden Gebiet wird seitdem die Vielfalt der Natur und die Schönheit der Landschaften langfristig erhalten und aufgewertet – gleichzeitig die regionale Wertschöpfung und nachhaltige Wirtschaft gefördert. Die nötige Infrastruktur war da bereits vorhanden. Das Gurnigel Berghaus, ebenso wie die Parkplätze und die wunderschöne Panoramastraße, welche Bergfreunde bis auf 1600 Meter hinaufbringt. Das allein macht allerdings einen Naturpark noch lange nicht zu einem derart perfekten Nachtquartier.
Allein einer Nacht wegen in die Alpen fahren? Klingt für viele Bergmenschen eher unspektakulär. Meist aber ändert sich das nach nur wenigen Minuten unterm Sternenhimmel. So auch bei uns: Pünktlich zur Dämmerung fällt der Vorhang. Die Gipfel liegen nun frei – und darüber öffnet sich ein glasklarer, ein nicht enden wollender Himmel. Die Aufregung steigt. Auch bei meinem Kompagnon, der wie die meisten Menschen bisher überwiegend die hellen Stunden in den Bergen zu nutzen wusste. Früh bricht in der kalten Jahreszeit die Nacht über uns hinein. Und so sind schon kurz nach Sonnenuntergang die ersten Sterne zu sehen. Vega im Westen wird bald schon untergehen. Dagegen Capella im Osten, gemeinsam mit dem roten Planeten Mars. Im Süden, direkt über dem Gipfel des Gantrisch, strahlt da schon unübersehbar hell der Jupiter. „Echt jetzt?“, werde ich da gefragt. Der Blick durch ein einfaches Fernglas aber bestätigt. Sogar die Monde des Gasriesen sind frei Hand gut zu erkennen. „Wow!“ Und nach einigen Sekunden Pause folgt: „Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal so bewusst in den Sternenhimmel geschaut habe.“
Ich lächle derweil nur still in mich hinein, wohlwissend, wie schnell die Faszination Nacht um sich greifen kann. Jetzt hat sie auch meinen Freund gepackt. Erwischt!
Es wird dunkler und dunkler. Minütlich werden mehr Sterne sichtbar. Dabei kommt uns entgegen, dass man hier oben in den Schweizer Bergen gerade im Winter eine zumeist sehr klare, saubere Luft vorfindet. Noch dazu ist die Dunkelheit kaum verschmutzt. Die sogenannte Lichtverschmutzung, die künstliche Aufhellung des Nachthimmels also, macht sich trotz der Nähe zu den umliegenden Städten kaum bemerkbar. Noch dunklere Orte sind in ganz Europa meist nur sehr viel schwerer zu erreichen.
Die Natur, so ist man sich in allen Naturparks der Alpen einig, gehört allen. Ganz egal ob nun Zwei-, oder Vierbeiner, tag-, oder nachtaktiv. Ebenso verhält es sich mit der Dunkelheit. Damit das aber auch so bleibt, Mensch und Tier ihre so wichtigen Rückzugsorte behalten können, bedarf es einiger Verhaltensregeln. Am Gantrisch löst man das geschickt mit Information und Sensibilisierung – ohne gleich mit der Verbotskeule zuzuschlagen. Eine Anreise bei Tageslicht ist demnach absolut empfehlenswert. Das reduziert nicht nur die Zahl der Scheinwerferlichter, sondern lässt meist noch einen wunderbaren Sonnenuntergang erleben. Wer nachts unbedingt Licht benötigt, greift am besten auf eine rot leuchtenden Stirnlampe zurück. Auf alle anderen künstlichen Lichtquellen wie Handys, Monitore oder sogar Blitzlichter sollte im Naturpark verzichtet werden. In der Nacht ist jedes Geräusch über Kilometer hörbar. Absolute Ruhe ist Pflicht, aber auch für Wildtiere nötig, die erst in der Dunkelheit ihre Deckung verlassen. Wer Müll macht, nimmt diesen auch wieder mit. Die ehemaligen Panzerparkplätze sind hervorragende Aussichtsplattformen und sogar mit Toiletten ausgestattet.
Wer unter freiem Himmel übernachten will, nimmt am besten die Panzerparkplätze als Ausgangspunkt und sucht sich einen guten Platz zum Biwakieren in der Nähe. Die für eine Nacht fälligen Parkgebühren von 15 Franken sind daher ein äußerst faires Angebot und direkt bei Parkbeginn zu bezahlen. Sich an die Regeln zu halten, fällt weder dem frischgebackenen Astrofreund noch mir sonderlich schwer. Vielmehr sind diese Verhaltenshinweise ohnehin selbsterklärende Selbstverständlichkeiten. Erst sie ermöglichen allen Bewohnern und Gästen des Naturparks gleichermaßen ein grandioses Nachterlebnis. Mehrere Stunden beobachten wir so also still und ehrfürchtig den Himmel – und lassen dabei die Endlosigkeit auf uns wirken. Wir diskutieren über dies und jenes. Und verlieren bald völlig das Zeitgefühl.
Längst stehe ich da, mit der Kamera in der Hand, kontrolliere meine nächtliche Serienaufnahme, als aus der Küche langsam ein verführerischer Kaffeeduft zu mir strömt. Mein Bergkamerad scheint noch etwas müde zu wirken – dabei spürt man als Nachteule schon sehr bald, dass man eigentlich gar nicht so viel Schlaf braucht. Begeistert von den nächtlichen Fotoaufnahmen sind wir beide. Die Nacht war ein voller Erfolg, das Wetter hätte besser nicht sein können. Ein betörend schöner Sonnenaufgang setzt der ganzen Geschichte nur noch die Krone auf.
Über dem Thunersee strahlt das Morgenlicht über Eiger, Mönch und Jungfrau, bis zum Gantrisch und auf unsere Holzterrasse. Was wir an diesem Tage noch unternehmen werden? Ganz einfach: Wir nutzen weiterhin das Konzept Naturpark. Dabei lassen sich je nach Saison aussichtsreiche Gipfel besteigen. Es lassen sich alpine Klettersteige erklettern, oder wunderschöne Winterwanderungen unternehmen. Schneeschuhtouren, Langlaufen, Schlitteln. Es lassen sich in den Restaurants ganz schmackhafte regionale Gerichte entdecken, es lässt sich hervorragend Skifahren, oder auch mit Alpakas wandern. Unser Tag endet nach einem bunten Programm voller netter Erinnerungen. Am tiefsten aber hat sich meinem Kollegen die Nacht eingebrannt. „Schlicht unvergesslich und wunderschön war sie.“ Und wie wir den Bus ins Tal nehmen, so kann ich es spüren. Gestern noch saß ein Freund neben mir. Jetzt aber sitzt da eine Eule. Eine Nachteule, so wie ich es eine bin.
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Autor: Benni Sauer
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